Der lange Weg nach Sacramento – Teil 1:
Die Brüder Don Miguel und Don Pedro de Gorrión hatten die ganze Woche hart für ihre Ranch gearbeitet. Pedro, ein Pferdezüchter, war extra vor einem Monat vom Diamond Valley in den Rocky Mountains mit Sack und Pferd mit der neuen stählernen Dampfeisenbahn angereist. Wie jedes Jahr half er seinem Bruder und dessen Cowboys beim Zusammentreiben der Rinder. Heute nun hatten sie es geschafft. Sämtliche Rindviecher, welche den ganzen Frühling und Sommer auf der weitläufigen Pampa rund um die Hazienda de Gorrión weideten, befanden sich für den Transport nach Sacramento im grossen Pferch.
Zur Entspannung wollten sich die Brüder deshalb abends ein paar Cervezas in Castillo de la Lluvia genehmigen. In der Zeitung hatte Pedro nämlich gelesen, dass eine Flamenco-Truppe im neu eröffneten Saloon in der Stadt auftreten würde. Castillo de la Lluvia erreicht man von der Hazienda de Gerrión in nur 30 Minuten im leichten Galopp. Pedro wartete schon auf der Veranda. Er sass im Schaukelstuhl und hatte sich eine Cubana angesteckt. Die silbernen Sporen der frisch polierten schwarzen Lederstiefel glänzten in der untergehenden Sonne. Er lehnte sich zurück, nahm den linken Arm hinter den Kopf und schielte in Richtung Eichentür. Von Miguel war noch nichts zu hören. Er beugte sich leicht nach vorne und klopfte sich den letzten Staub aus der dunklen rauen Lederhose. Extra für diesen Abend hatte er sein neues weisses Hemd angezogen. Die schwarze Lederjacke hing über der Verandareling. Gerade als er die Cubana das erste mal lässig abstaubte, öffnete Miguel die schwere Haustür. Miguel hatte seine neue braune Wildlederhose an, ein graues Hemd und darüber eine dunkelbraune Lederjacke. Sein brauner Cowboyhut hing lässig im Nacken, so dass man sein frisch geschniegeltes dunkles Haar sehen konnte. Auch hatte er sich frisch rasiert. Im linken Mundwinkel hing eine frisch angesteckte Zigarillo. Er warf Pedro wortlos dessen schwarzen Cowboyhut zu, schnallte sich den nietenbesetzten Coltgürtel um und trat mit zugekniffenen Augen auf die Veranda. Pedro erhob sich aus dem Schaukelstuhl, nahm seine Lederjacke von der Reling, schob den Colt mit Elfenbeingriff in den Gürtel und beide schritten nebeneinander zu ihren frisch gestriegelten Mustangs. Mit einem lässigen Schwung sassen beide auf, wendeten die Pferde und ritten im leichten Galopp zum Torbogen der Hazienda.
Nach einer halben Stunde erreichten die beiden die ersten staubigen Strassen des Westbezirkes von Castillo de la Lluvia. Pedro fielen zuerst die vielen hölzernen Kinderwägen auf. So viele hatte er letztes Jahr nicht gesehen. Es kam sogar vereinzelt zu Kinderwagenunfällen auf den Bürgersteigen. Dann erreichten sie die einzige gepflasterte Strasse in Castillo de la Lluvia – die Strada del Monetas – auch lappidar “Einkaufsmeile? genannt, obwohl sie nur knapp halb so lang war und direkt am Bahnhof endet. Hier boten Kaufleute, Büchsenmacher, Zuckerbäcker und edle Massschneider ihre Ware feil. Auch die einzige und daher reichste “Banca del New Mexico? hatte dort ihren Sitz. Offen ausgesprochenen Gerüchten zufolge kam der Reichtum aber hauptsächlich durch Wucherzinsen zustande. Auch hätten viele Nichtansässige im steinernen Keller Fächer mit dicken Tresortüren mit unermesslichen Schätzen gefüllt. Aber keiner hätte diese bisher gesehen. Pedro fragte Miguel, ob ihm auch die Frauen mit den grossen seitlich umgehängten Ledertaschen oder auf dem Rücken getragenen Stoffsäcken aufgefallen wären. Miguel schaute verwundert um sich, dann nickte er und meinte es wäre jetzt “IN?. Pedro runzelte die Stirn. Vor einem Massschneider hatte sich eine grosse Menschentraube gebildet. Miguel erklärte Pedro, dass diesen Kaufladen ein italienischer Schneider eröffnet hätte und “Michelangelo? heissen würde. Jeder würde nun dort einkaufen wollen und der Schneider käme wegen der schlechten Liefersituation aus Italien nicht nach. Auch wenn die Kleider bei “Michelangelo? drei Mal soviel kosten würden, wie beim besten Hausschneider der de Gorrión`s. Pedro runzelte erneut die Stirn.
Vor dem neuen Saloon hatte sich eine bereits eine grosse Menschentraube gebildet. Auch hier waren viele der Wartenden entweder mit am Rücken befestigten Stoffbeuteln, die jungen Frauen mit grossen seitlich hängenden Ledertaschen, bewaffnet. Als die Brüder vor dem Saloon die Mustangs festmachten, schlug die Glocke der gegenüber neu errichteten Kirche zuerst vier Mal im hellen Klang und anschliessend 10 Mal sehr dumpf. Das Musik- und Stimmengewirr aus dem Saloon konnte man schon von der Strasse hören. Links vom Eingang etwas Abseits stand im Halbdunkel ein junges Pärchen eng umschlungen. In der einen Hand eine kleine Blechdose, aus der beide abwechselnd tranken und in der anderen eine kleine Zigarillo aus der ein bläulicher Rauch entstieg. Vor dem Eingang standen links und rechts je eine Fackel und je eine dunkle grosse Gestalt mit langen schwarzen Ledermänteln und verschränkten Armen. Beide begutachteten die um Einlass bittenden und schienen diese auszusortieren. Viele wurden allein aufgrund zerrissener Beinkleider oder nackter Füsse abgewiesen. Andere erhielten trotz dieser Makel Einlass, als diese ein kleines Holztäfelchen mit bunten Symbolen den dunklen Gestalten zeigten. Miguel und Pedro passierten die beiden grimmig schauenden Schurken und grüssten mit einem Griff zum Cowboyhut. Pedro erreichte die Schwingtür und warf einen Blick darüber. Erst als er hinter sich die Schritte von Miguel hörte, warf er beide Flügel auf. Ohne zu zögern gingen beide zur Bar, welche die gesamte linke Seite des Saloons einnahm. Pedro rückte sich einen wackeligen Holzhocker zurecht und setzte sich mit dem Rücken zu Bar mit beiden Ellbogen auf die Theke aufgelehnt. Miguel stellte seinen Fuss auf den Messingabsatz und bestellte zwei Krüge Cerveza.
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