Heute war wieder einer dieser Tage. Morgens ins Büro. Dann stecke ich den Rechner an und logge mich ein. Ein Biospasswort, dann das Windows-Anmeldefenster. Anschliessend dauert der Bootvorgang 7 bis 10 Minuten bis der Rechner üblicherweise endlich bedienbar ist. Ich hole mir immer zwischenzeitlich einen Kaffee und schaue die Post durch. Das „Grauen“ erfolgt immer dann, wenn ein CAT-Update auf dem Bildschirm auftaucht. Das dauert dann inklusive Reboot im Schnitt eine halbe Stunde.
Heute war es wieder soweit. „Wollen Sie die das Encryption-Programm für Ihre Festplatte installieren?“ Nur der „JA!“-Button ist hinterlegt. „Nein“ ist nicht möglich. Also drücke ich mit einem Grummeln auf den Bestätigungsbutton. Es folgt „Bitte sämtliche externe Festplatten und Speicher entfernen!“. Ich vermute, dass dann diese Speichermedien gleich mit „encryptet“ werden, falls man dies nicht beachtet. Ich schaue nach, ob ich die Zweit-Karte meiner Kamera gesteckt habe – dies ist nicht der Fall – somit drücke ich auf „weiter“.
Der Installationsbalken wandert langsam über den Bildschirm. Zwischenzeitlich schliesse ich die aufpoppenden Programme, welche durch die „Autostart-Funktion“ am Bildschirm erscheinen. Nach 10 Minuten ist die Installation des „Festplatten-Encrypters“ beendet. Im Hintergrund verschlüsselt das Programm nun meine Festplatte. Klar! Ich habe ja soooo wertvolle Dateien auf meinem Harddrive. Produkt- und Kundenpräsentationen zum Beispiel. Produktdokumentation und Marketinginfos.
Verärgert stelle ich fest, dass die Systemleistung durch das im Hintergrund laufende Encrypt-Programm so richtig in die Knie geht. Der Start von Outlook dauert über 2 Minuten. Ich starte zwischenzeitlich parallel ein Excelformular, in welches ich seit Monaten Daten über meine Tätigkeiten einfüge und täglich aktualisiere. Ein Tagebuch also. Ich fülle zwei Spalten aus und möchte die Grafische Auswertung auf einem anderen Blatt in der Exceldatei ansehen.
Plötzlich ist die Exceldatei vom Bildschirm verschwunden. Häh? Excel abgestürzt? Also noch mal. Hoffentlich sind meine Daten nicht verloren gegangen. Ich starte die Datei erneut. Erleichtert stelle ich fest, dass meine Eingaben „recovered“ wurden. Ich klicke erneut auf das Auswertegrafikblatt. Schwupp! Schon ist die Exceldatei wieder vom Bildschirm verschwunden.
Ich rufe die IT-Hotline an. Die Herren kennen mich mittlerweile. Festplattencrash, volles Systemlaufwerk C:, Outlook lässt sich nicht mehr starten – ein kurzer Auszug aus den letzten Monaten. Ich erkläre dem IT-Hotline-Mitarbeiter auf der anderen Seite, dass ich langsam genug habe von den Schwierigkeiten nach den CAT-Updates. Er empfiehlt die Datei noch mal zu starten und fragt, ob die Exceldatei Makros enthält. „Natürlich!“ antworte ich, aber das war ja vorher auch schon so!
Er fragt, ob die Datei recht gross sei. Man hätte mit Bill-Gates-Office immer Probleme mit grossen Dateien. Aha! Bill-Gates ist schuld. Und, die CAT-Updates würden vom IT-Headquater kommen, regional könnte man nichts dagegen tun. Man müsse mitziehen.
Zwischenzeitlich öffne ich die Datei erneut und schaue unter „Eigenschaften“, wie gross die Datei ist. Ja glatte 258 kB! Das ist ja riiiieeesig. Ich lache kurz auf. Er meint „Die ist ja winzig!“ Ich solle die Datei an ihn weitermailen. Ich antworte „Ja, sofort! Sobald das Outlook komplett gestartet ist“. Outlook ist nämlich immer noch nicht offen. Ich versuche auf den „Neue Mail“-Button zu drücken. Nichts rührt sich. Zwischenzeitlich kopiere ich die Datei im Explorer. Dann ist das Mailedit-Fenster offen. Ich kopiere die Datei und schicke diese an den netten IT-Kollegen. Mein Natel klingelt. Ich schaue auf das Display. Es ist Dominik, wir haben ab Mittag einen Kundentermin. Ich habe ab und teile Dominik mit, dass ich ihn zurück rufe, sobald das Laptop-Desaster geklärt ist.
Kurz darauf kommt diese bei dem IT-Hotliner an. Er könne diese ohne Probleme öffnen. Ob mein Encryption-Programm noch laufen würde. Ich bejahe. Na denn würde es sicher am Encryptionprozess liegen. Hervorragend! Somit ist nicht nur die Systemleistung miserabel, ich kann auch keine Dateien bearbeiten. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass Silke lächelnd auf meinen Arbeitsplatz zusteuert. Ich schau auf die Uhr: kurz nach 10 Uhr. Wir haben einen Marketingtermin, aber immer noch den Hotliner an der Strippe. Ich versuche das Gespräch zu beenden und bitte um seine Telefonnummer, um ihn im Anschluss an die Besprechung direkt erreichen zu können.
Ich lege auf und begrüsse Silke. Sie fragt, ob ich ihre Mail schon gelesen habe. Ich entgegne, dass ich wegen der Encryption-Laptop-Geschichte noch keine Zeit hatte, irgendwelche Mails zu lesen. Ich wüsste nur, dass sich in den letzten 3 Tagen meiner Abwesenheit etwa 40 neue angesammelt hätten.
Wir verziehen uns in ein Besprechungszimmer und diskutieren die nächsten Veranstaltungen durch. Zwischendurch klingelt mein Natel sechs Mal. Zwei wichtige Telefonate beantworte ich direkt. Eigentlich nehme ich während Besprechungen gar keine Telefonate an, aber beide hatten mit den Veranstaltungen zu tun.
Gegen 11 Uhr verabschiede ich Silke und wähle die Nummer des Hotliners. Er könne momentan gar nichts tun und ich solle abwarten bis die Encrpytion der Festplatte beendet sei. Parallel klingelt das Natel. Ein Kollege von der Laptop-Abteilung wäre dran. Er benötigt für meinen neuen Laptop mein Kennwort und das Passwort.
Wie bitte? Telefonisch? Ja, das ginge nicht anders, sonst könne er meinen neuen Laptop bis Montag nicht fertig installieren. Auf der einen Seite wird meine „hochwichtige“ Festplatte verschlüsselt und auf der anderen Seite soll ich meine Zugangsdaten telefonisch weitergeben. Ich muss nicht mehr alles verstehen.
Dann steht Dominik vor meinem Schreibtisch. Ich beende beide Telefonate mit den IT-lern. Dann fahre ich meinen Laptop herunter und packe für den Kundenbesuch. Ich schnappe mir meine Jacke und folge ihm Richtung Treppenhaus. Auf dem Weg dorthin kommt mir Alessandro entgegen. Wie es mit der Veranstaltungsplanung aussehen würde. Gerade als ich zur Antwort ansetzen will, klingelt mein Natel. Ich schaue auf das Display: „unbekannt“ steht da.
Ich hebe ab. Ein Kunde fragt nach einer technischen Unterstützung, ob die Hotlinedame durchstellen darf. Ich bejahe und der Kunde fängt an den Fall zu erklären. Ich zwinkere Alessandro an und flüstere, dass ich eine Sitzung mit Silke hatte und alles gut aussieht. Dominik deutet mir an, dass er auf dem Parkplatz auf mich warten würde. Ich entschuldige mich beim Kunden am Telefon für die kurze Unterbrechung und höre dem Problem zu und beantworte die Fragen. Währenddessen steige ich die Treppen zum Parkplatz hinab.
Dominik grinst. Ich stelle die Tasche neben dem Auto ab und suche den Autoschlüssel. Dabei habe ich das Telefon zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt und beantworte weiterhin die Fragen des Kunden. Wir steigen ins Auto und ich öffne das Dach. Nach weiteren 5 Minuten und einer Zigarette starte ich den Motor. Der Kunde ist zufrieden. Ich lege auf und entdecke, dass während meines Telefonates zwei weitere Anfrufer auf meiner Combox gelandet sind.
FACTS.CH veröffentlicht zu eben diesem Thema heute einen Artikel mit dem Titel: „Pro Jahr gehen über eine Milliarde Arbeitsstunden verloren. Schuld sind Technikstress und Kommunikationsattacken der Mitmenschen. “
Ich zitiere: „Jetzt endlich hat die Wirtschaft das Problem erkannt», sagt Pascal Sieber, Geschäftsführer des Schweizerischen Produktivitätsinstituts in Bern. Vor lauter Ablenkungen durch E-Mail, Handy und SMS kommen die Manager kaum noch dazu, produktiv und kreativ zu arbeiten. Sich längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren, ist kaum noch möglich. Die Fehlerrate schnellt nach oben, die Kreativität saust in den Keller. «Den Firmen entsteht dadurch ein riesiger Schaden», sagt Sieber. Was jeder ahnt, der per Handy und E-Mail kommuniziert, ist jetzt wissenschaftlich genau beschrieben: Fast 60 Prozent aller einmal angefangenen Tätigkeiten werden gestört, unterbrochen und erst später wieder fortgesetzt.“
Und weiter: „«Viele Unternehmen sehen klar, dass hier Produktivität verschenkt wird», sagt Sieber. Für die USA hat das Beratungsunternehmen Barex errechnet, dass sich der Produktivitätsverlust auf 588 Milliarden Dollar beläuft. Das entspricht knapp acht Prozent des US-Bruttosozialprodukts. Jedes Jahr werden so etwa 28 Milliarden Arbeitsstunden verplempert. Auf die Schweiz umgerechnet, beziffert sich der Produktivitätsverlust auf etwa 34 Milliarden Franken. Pro Jahr gehen zwischen einer Milliarde und 1,2 Milliarden Arbeitsstunden verloren.“
Aber ich bin zuversichtlich; denn Abschottung kann man lernen: „Der deutsche Zeitmanagement-Experte Lothar Seiwert empfiehlt: «Deaktivieren Sie die Benachrichtigung über neue Mails, bearbeiten Sie die Mails nur zu bestimmten Tageszeiten und in Blöcken, löschen Sie dann Unnötiges sofort.» Der Engländer Jean-Carl Honoré hat mit seinem Buch «Slow Life» gleich auch eine Slowmail-Bewegung ins Leben gerufen, die die elektronische Kommunikation entschleunigen soll. «Seien Sie einfach nicht immer erreichbar», empfiehlt er.“
Aber ob „Abschottung“ die Lösung für mein Laptop-Desaster ist?
So, und zur Krönung stelle ich gerade fest, dass ich mich in meinen Arbeits-Laptop nicht einloggen kann. Nach dem Einschalten erscheint ein Fenster, dass mich an alte DOS3.3-Zeiten erinnert. Der Hinweistext lautet „After entering your Passwort press F10 to change it“. Nachdem ich drei Mal versucht habe ein Passwort – dass ich nicht kenne – einzugeben und Betätigen der Taste F10, ändert sich der Bildschirm nicht. Das wird morgen sicherlich wieder interessant – das Gespräch mit der IT-Hotline.
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