DRS1 Nachrichten vom 30.11.2009, 18 Uhr:
Der Schweizer Volksentscheid gegen den Bau von Minaretten hat im Ausland vielfach Bestürzung ausgelöst. Bundesrätin Calmey-Rey versucht in Bern den Botschaftern Arabischer Staaten das Abstimmungsergebnis zu erklären. Diese reagierten mit Unverständnis auf das Verbot. Bundesrätin Widmer-Schlumpf ihrerseits betonte bei einem EU-Ministertreffen in Brüssel dieses Ergebnis sei kein Angriff auf die Religionsfreiheit. Mehrere europäische Minister sehen in dem Minarettverbot ein Zeichen der Intoleranz. Die Vereinten Nationen prüfen, ob das Minarettverbot in der Schweiz mit internationalem Recht vereinbar ist. Experten seien daran den Fall zu untersuchen, sagte ein Sprecher des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte. Die SVP hat bereits verlangt, dass Bundesrat den Volksentscheid vollkommen umsetzt.
Echo der Zeit vom Montag 30.11.2009, 18 Uhr: Georg Kohler ist Professor für politische Philosophie im Gespräch mit Casper Selg
Georg Kohler: Also, einerseits gibt es eine Politstrategie, die die Schweiz zwar irgendwie ökonomisch mit dem ganzen Planeten vernetzen möchte. Aber politisch und kulturell möchte man so auf einem kleinen Sternchen, wie der kleine Prinz neben der Welt sein. Diese Linie gibt es. Sie gehört glaub ich kann man sagen zur „Blocher-Schweiz“. Die hat keine Aussicht – die ist gefährlich. Die finde ich aber von der Aussenperspektive her überbetont. Also, Isolationismus ist ganz sicherlich keine sinnvolle Reaktion darauf….
Caspar Selg: Aber das Ausland nimmt natürlich zur Kenntnis, dass wir mit dem Ausland intensiv Handel treiben. Der Handel beispielsweise mit Europa hat massiv zugenommen in den letzten paar Jahren. Wir wollen Handel treiben. Wir wollen unsere Geschäfte machen können. Aber wir wollen das Ausland im Inland nicht zur Kenntnis nehmen. Das aber schafft doch Probleme?
Georg Kohler: Das ist diese helvetische Schizophrenie: Politisch auf einem anderen Stern, aber irgendwie privatwirtschaftlich und marktwirtschaftlich vernetzt mit dem ganzen Planeten. Diese Strategie ist seit 20 Jahren in immer grössere Schwierigkeiten gekommen und das wird registriert, aber ich glaube wir sind jetzt daran richtige Lösungen zu suchen. Also das sind Suchbewegungen. Der Bilateralismus mit der EU ist so eine Sache, kommt an seine Grenze. Und, ja, wir stehen nicht vor einer Identitätskrise aber vor sehr tief greifenden Auseinandersetzungen. Diese Abstimmung zeigt einmal mehr dass wir müssen, aber auch irgendwie auch dabei sind die Schweiz neu zu erfinden. Und manchmal geht diese Neuerfindung über einen Schritt zurück noch mal über Neubesetzungen alter Marken. Das Verbot von Minaretten oder den Bau von neuer Minaretten natürlich überhaupt nichts löst, darüber sind wir uns einig.
SR-DRS: Minarett-Verbot: Rechtsstreit absehbar:
Die Rechtsexperten sind sich einig: Das vom Volk angenommene Minarett-Verbot dürfte zu einem Rechtsstreit führen. Dies bestätigt auch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Die Umsetzung bringe sicher «einige delikate Fragen» mit sich, sagte Calmy-Rey gegenüber Schweizer Radio DRS.
SVP verlangt Kündigung von Abkommen
Zuvor hatte die SVP vom Bundesrat die vollständige Umsetzung des Minarett-Verbots verlangt. Falls «Gerichte es wagen, den Entscheid mit Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention oder den Uno-Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte umzustossen», müsse die Schweiz die entsprechenden Verträge halt kündigen, teilte die Partei mit.
Tagesspiegel.de: Es herrscht Progromstimmung:
Der Schweizer Soziologe und Politiker Jean Ziegler über verklemmte Kleinbürger in der Schweiz und die Reaktion der Muslime.
Haben Politiker, die ein Bauverbot für Minarette fordern, die Einstellung der Schweizer gegenüber Muslimen verändert?
Ja. Es herrscht eine Pogromstimmung. Viele Muslime fürchten sich vor Anschlägen, vor Gewalt, vor Stigmatisierung. Zuerst gab es nur eine kleine Gruppe in der Schweizerischen Volkspartei, hart an der Grenze zum Faschismus, die ein Bauverbot für Minarette forderte. Jetzt aber ist das Feuer im ganzen Land entfacht.
Wieso sind diese Leute so erfolgreich?
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) ist die größte Partei im Lande, sie lebt von der Angst. Sie braucht immer neue Feindbilder. Sie versuchten es mit den eingewanderten Deutschen als Feindbild. Das funktionierte nur begrenzt. Jetzt bläst die SVP zu einem Kreuzzug gegen den Islam. Die Muslime sind die neuen Sündenböcke. Sie sollen per Verfassung ausgegrenzt werden.
Handelsblatt.com: Auch für die Schweiz ist Globalisierung unteilbar
Schizophrenie in den Alpen: Wirtschaftlich möchten die Schweizer gerne von der Globalisierung profitieren. Politisch und kulturell hätte man aber lieber eine Bergfestung ohne Muslime.
Sueddeutsche.de: Der Schweizer Krawallmacher – ein Deutscher
Die Schweizer votierten gegen Minarette – und dahinter steckt ein Deutscher. Alexander Segert konzipierte eine gnadenlose Kampagne.
Zu verdanken ist das auch dem Deutschen Alexander Segert. Vor etwa 20 Jahren zog Segert in die Schweiz. Er ist Geschäftsführer der Werbeagentur Goal und hat die Kampagne für die SVP organisiert. Seit 14 Jahren macht er Werbung für die Partei. Früher schrieb er in der islamfeindlichen Zeitschrift Bürger und Christ, in der er vor „der schleichenden Infiltration des christlichen Abendlandes durch den Islam“ warnte, wie ihn der Zürcher Tages-Anzeiger zitiert. Und jetzt: Für das Minarett-Verbot hat sich Segert einiges einfallen lassen. … Der Name Alexander Segert steht auch für das berüchtigte „Schäfchenplakat“. Was so harmlos klingt, löste ebenfalls europaweit heftigte Reaktionen aus. Zu sehen waren mehrere weiße Schäfchen, die ein schwarzes Schaf über die Landesgrenze kicken. Das Plakat ging zurück auf die „Volksinitiative für die Ausschaffung krimineller Ausländer“, die vor zwei Jahren in der Schweiz Stimmung machte.
Fokus.de: UN und EU prüfen Konsequenzen
Die Schweizer Minarett-Entscheidung zieht immer weitere Kreise: Die UN schalteten sich ein, und die EU will sogar die mit dem Lissabon-Vertrag geplanten Volksabstimmungen infrage stellen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiere das Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit, sagte der Generalsekretär des Europarats, Thorbjörn Jagland, am Montag in Straßburg. Außerdem enthalte die Konvention ein Diskriminierungsverbot, hob der Norweger hervor. Es sei daher Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu prüfen, ob ein Verbot von Minaretten mit der Konvention zu vereinbaren sei. … Auch die Vereinten Nationen kündigten eine Untersuchung der Rechtmäßigkeit an. Experten prüften, ob das Schweizer Verbot mit internationalem Recht vereinbar sei, sagte ein Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte. Schon während der Abstimmungskampagne hatten UN-Experten die Schweizer Behörden mehrfach vor einem „diskriminierenden Charakter“ eines Minarett-Verbots gewarnt. Ein Ausschuss des UN-Menschenrechtsrats hatte am 30. Oktober deutliche Kritik an der Abstimmungsvorlage rechtsgerichteter Kreise sowie einer „diskriminierenden Plakatkampagne“ geübt.
Spiegel.de: Forderung nach einer „friedlichen und demokratischen Reaktion“
Im saudi-arabischen Dschiddah forderte die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) Muslime in aller Welt zu einer „friedlichen und demokratischen Reaktion“ auf. In dieser Organisation sind 57 islamische Länder vertreten. Ihr Generalsekretär Ekmeleddin Ihsanoglu nannte das Ergebnis der Abstimmung „enttäuschend und beunruhigend“. Es sei das jüngste Beispiel für das Schüren von Angst vor dem Islam durch fremdenfeindliche Politiker, sagte der aus der Türkei stammende Ihsanoglu. Die westlichen Gesellschaften befänden sich in der Geiselhaft von Extremisten, die Muslime als Sündenböcke ausnutzten, um an die Macht zu gelangen. Er sagte, das Minarett-Verbot sei eine „bedauerliche Entwicklung, die das Bild der Schweiz als ein die Pluralität, Religionsfreiheit und Menschenrechte achtendes Land trübt“.
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