Joseph Gschwendner sitzt gelangweilt auf der Terrasse hinter dem elterlichen Reiheneckhaus aus den 60er Jahren, kaut an einem Stück Erdbeerkuchen und und rührt gelangweilt in der goldgeränderten Kaffeetasse mit viel zu kleinem Henkel. Immer wieder kneift er die Augen zusammen und blickt unruhiger werdend auf die alte Armbanduhr; denn sein Wunschabfahrtstermin zurück in die Schweiz nach Bremgarten ist bereits seit mehr als drei Stunden verstrichen.
„Ich pack Dir nur noch kurz was ein!“ hatte Mama Annemarie – kurz Annamirl – versprochen; denn „bei Dir in der Schweiz is ja eh alles so teuer!“ Nein, stimmt nicht, denkt Joseph, von Mama Annamirl gern liebevoll „mein Bub, der Sepp“ genannt. Benzin ist billiger! Aber das hatte er Mama schon so oft erklärt. Auch dass er das Wenige zum Leben lieber im Dorfladen kauft, weil er nicht gerne in die überfüllten Einkaufszentren fährt. Aber diese Erklärung mündet dann in ein verächtliches „Da ist es ja noch teuerer!“ von Mama Annamirl.
Mama Annemarie läuft trotz lockerer Hüfte seit gefühlten vier Stunden immer wieder zwischen Haustür und dem alten VW Golf, dessen Heckklappe geöffnet ist, hin und her. Zwischendurch hört Joseph sie in der Küche scheppern oder im Keller hantieren. Alles wird fein säuberlich in Plastiktüten verpackt und anschliessend ins Auto geladen. Bei einem kurzen Blick über die Schulter erkennt Joseph, dass nun schon die Beifahrertür geöffnet ist. „Toll! Dann ist ja hinten schon alles voll im Kofferraum!“ Joseph stellt sich bildlich vor, wie er gegen 2 Uhr mitten in der Nacht vor seiner Wohnung parkt und mit all den Sachen seinen Kühlschrank und seine Küchenschränke füllt.
Er vergräbt sein Gesicht in beiden Händen. „Ich packe Dir noch einen Multivitaminsaft für die Fahrt ein!?“ Joseph hebt den Kopf aus den Händen und antwortet „Ja! Mama!“ Er hievt seinen Körper aus dem Gartenplastikstuhl, dessen Querbalken sich langsam in sein Hinterteil eingegraben haben, während er den letzten Schluck kalten Kaffee aus der goldberänderten Kaffeetasse nahm, deren Henkel viel zu klein ist. Er schlenderte den kurzen gekiesten Weg zu seinem Auto, bei welchem Mama Annemirl ihn mit den Worten empfing „und dass Du mich ja anrufst, wenn du angekommen bist!“ Joseph nimmt seine Mama in den Arm und küsst sie kurz „Ja! Mama! Wie immer“ Jetzt kommt bestimmt noch „und fahre bitte vorsichtig!“
Joseph fällt auf den Fahrersitz und stellt fest, dass er auf einer Plastkflasche mit Multivitaminsaft sitzt. Er greift danach und steckt die Flasche in den Korb mit Lebensmittel auf dem Beifahrersitz. Dann dreht er den Schlüssel und startet den Motor seines 92er Golf und legt den Rückwärtsgang ein. Mama Annamirl steht mit traurigem Blick auf der Fahrerseite und meint nur „Fahr ja vorsichtig mein Bub! Und ruf ja an, wenn Du angekommen bist!“ „Ja! Mama!“ Sepp fährt langsam rückwärts aus der Einfahrt, wobei er die seitlichen Rückspiegel nutzen muss, weil er nach hinten vor lauter Tüten sonst ja nichts sieht. Ein letztes Winken und der Golf setzt sich voll beladen schwerfällig in Bewegung Richtung Autobahn – Richtung Schweiz.

Grenzübergang St. Margarethen (Quelle Wikimedia)
Etwa drei Stunden später erreicht Joseph kurz vor Mitternacht die Schweizer Grenze bei St. Margrethen. Zwei Grenzpolizisten stehen neben den einreisenden Fahrzeugen. Der eine die Hände auf dem Rücken, der andere winkt lässig die ankommenden Kleinwagen durch. „Hoffentlich“ denkt Joseph „hoffentlich“! Dann ist Joseph an der Reihe und der Grenzpolizist hebt die Hand. Joseph kurbelt die Fahrertürscheibe herunter und hält seinen Pass in der Hand. „Haben Sie Ware dabei?“ lautet die Frage des Grenzers. Etwas unsicher antwortet Joseph „Ja… Äh….“ Der Grenzer nimmt den Pass und deutet auf das Zollgebäude. „Dann fahren Sie bitte mal rechts ran!“ Joseph legt den ersten Gang ein und parkt seinen Golf an der zugewiesenen Stelle.
Während der eine Grenzer mit Joseph’s Pass im Zoolhaus verschwindet, dreht der andere eine skeptische Runde ums Auto und bittet Joseph im ernsten, aber freundlichen Ton „können Sie bitte den Kofferraum öffnen?“ Joseph öffnet die Fahrertür, steigt aus und hebelt die schwergängige Heckklappe auf, deren Abdeckung den Blick auf viele Plastiktüten freigibt. Der Grenzer runzelt die Stirn und fragt “ Was ist das?“ Joseph zuckt nur schüchtern mit den Schultern und meint trocken „nach was sieht’s denn aus?“

Voll beladener Kofferraum (Quelle 20min)
Währenddessen kommt der zweite Grenzer mit Joseph’s Pass und in Begleitung eines Spürhundes an der Leine zurück. Grenzer Nummer 1 bittet Joseph freundlich die Hände auf das Dach des Golf ’s zu legen und sich bequem mit leicht gespreizten Beinen zu postieren. Der Spürhund schnüffelt von Grenzer 2 geführt derweil an den Tüten im Kofferraum und gibt schwanzwedelnd kurze freudig Quietschlaute von sich. Grenzer 1 geht hinter Joseph in die Knie und betastet zuerst das linke, dann das rechte Bein von unten nach oben ab.
Der Hund gräbt sich zwischenzeitlich schwanzwedelnd und ab und zu quietschende Laute von sich gebend zum Rücksitz durch den Plastiktütenberg, hält kurz inne, taucht mit dem Kopf in einer Tüte ein, macht kehrt, springt am verdutzten Grenzer Nummer 2 vorbei aus der Fahrertür, sprintet sich vom Führungsband losreissend mit einem paar original Münchner Weisswürste im Maul am Grenzer Nummer 1 vorbei an den wartenden Autos entlang über die Brücke über die Grenze nach Österreich, wo er im Dunkeln verschwindet, schwanzwedelnd und ab und zu kurze quietschende Laute von sich gebend.

Drogenspürhund im Kofferraum (Quelle Tagesschau)
Joseph schaut ihm lange nach, bis er merkt, dass Grenzer Nummer 1 beim Abtasten just seinen Schritt von hinten befühlte, als zur Verwunderung und Überraschung dessen der treue Grenzschnupperhund mit den Münchner Weissen in der Nacht und noch dazu auf österreichischer Seite verschwand.
Grenzer Nummer 2 hält die Führungsleine hoch und fluchte auf Schweizerdeutsch. Nun war es mit der kurz nach mitternächtlichen Schweizer Gemütlichkeit vorbei. Grenzer Nummer 1 nimmt zuerst die Handschellen aus dem Gürtel und dann von Joseph eine Hand nach der anderen. Grenzer Nummer 2 geht zur offenen Heckklappe und nimmt die erste Tüte unter höchsteigenen amtlichen Augenschein. Prompt hält er mit gewinnendem Lächeln eine durchsichtige Tüte halb gefüllt mit einem feinen weissen Pulver, sauber zugeschweisst, in der Hand. „Was ist das?“ Joseph weiss es nicht, er weiss es wirklich nicht, er hat die Tüten weder zusammengepackt, noch in den Kofferraum geladen. So bleibt ihm nur ein desillusioniertes Schulterzucken als Antwort.
Beide Grenzer sehen sich den erhofften Drogenfund genauer an, drehen und wenden das Paket, schätzen das Gewicht, riechen daran, schauen sich kurz wissend an, nicken sich zu, es sieht nicht gut aus für Joseph, der nun schon etwas übermüdet und konstaniert in Handschellen neben seinem Golf steht. Trotz später Nacht und obwohl keine Grenzkontrollen mehr stattfinden, weil beide Grenzbeamte ja schwer beschäftigt sind, bildet sich ein kleiner Stau Richtung Schweiz, weil die Schaulustigen die Szenerie so lange wie möglich bestaunen möchten.
Joseph schaut einem Auto nach, das einen Hometrainer auf dem Dach geladen hat. „So eines steht bei mir auch sinnlos rum!“ Währenddessen legt Grenzer Nummer 2 das verdächtige Paket auf die Motorhaube des Golf, zieht ein Sackmesser aus der Hosentasche und sticht fachmännisch sezierend in den zugeschweissten durchsichtigen Plastikbeutel mit dem feinen weissen Pulver. Dann führt er den rechten kleinen Zeigefinger vorsichtig durch das kleine Loch in der Plastiktüte ein, nimmt etwas weisses Pulver auf, führt den Finger zur Nase, riecht vorsichtig daran und schleckt das weisse Pulver dann mit der Zunge ab. Der Verkehrsstau an der Grenzstation hat mittlerweile einen ersten Höhepunkt erreicht und es stehen schon vereinzelt Personen im Umkreis um die Szenerie ausführlicher zu betrachten. Joseph schaut sich um und schüttelt den Kopf. Grenzer Nummer 2 schmatzt mit dem Finger im Mund, als würde er einen guten Wein degustieren. Grenzer Nummer 1 rempelt ihn an und fragt „Und?“ Grenzer Nummer 2 nimmt den Finger aus dem Mund und es sieht so aus, als wolle er antworten. Jedoch entweichen seinem Mund lediglich bunte Seifenblasen! „Waschmittel!“ Grenzer Nummer 2 bückt sich und spuckt fluchend aus.
Nun ist der Spass aber wirklich vorbei! Die beiden Grenzer durchforschen sämtliche Plastiktüten. Alles wird rund um das Auto ausgebreitet. Nudelpakete, Eier, Marmorkuchen, Bauernbrot in Scheiben, Tomaten, Äpfel, Bananen, Kaffee, Zucker, Milch kommt zum Vorschein. Schliesslich findet man doch noch ein Corpus Delicti: In Zeitungspapier eingepacktes Grünzeug, das wie Hanf aussieht, sich aber dann als Zitronenmelisse und durch die Diagnose „brennende Haut“ als Brennnessel entpuppt. Sichtlich genervt nimmt man Joseph die Handschellen ab, damit er seine Habseligkeiten möglichst schnell wieder in seinen Golf räumen kann. Die Grenzer meinen nur, dass er ganz schnell verschwinden solle. Dann kümmern sich beide Grenzer darum die Schaulustigen in ihre Fahrzeuge zu bitten, um den Stau möglichst bald aufzulösen.
Gegen 5 Uhr verlässt Joseph mit einem letzten Gruss Richtung Grenzbeamte die Zollstelle und begibt sich auf die Autobahn Richtung Zürich. Als die Sonne aufgeht, trifft er zuhause ein. Er nimmt das Telefon und wählt die gespeicherte Nummer. Die andere Seite fragt müde „bist Du gut angekommen?“ Joseph antwortet brav wie immer „Ja! Mama…..“
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